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Rede von Oberbürgermeisterin Carda Seidel zur Gedenkfeier zum „Tag der deutschen Einheit“

3. Oktober 2017, An der Riviera, 11:30 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Ansbacherinnen und Ansbacher,

ich begrüße Sie ganz herzlich an unserem Stück der Berliner Mauer zur traditionellen Gedenkfeier zum Tag der Deutschen Einheit. Vielen Dank, dass Sie diese Gelegenheit des gemeinsamen Gedenkens jedes Jahr wieder wahrnehmen und dass wir zusammen einige Blicke in die Vergangenheit unseres Landes, aber auch in die Gegenwart und Zukunft werfen können.

Am 3. Oktober feiern wir traditionell die Überwindung einer Grenze, die unser Land und die Menschen Jahrzehnte lang voneinander trennte und ganz Europa teilte. Der Tag der Deutschen Einheit markiert den wohl glücklichsten Wendepunkt in unserer deutschen Geschichte, auf den wir mit großer Dankbarkeit zurückblicken und er lässt eine Fülle an Bildern und Erinnerungen in uns wach werden.

Wir denken an die leidvolle Teilung unseres Landes, die Menschen, die an der deutsch-deutschen Grenze getötet wurden und an die Opfer des Unrechtsstaates DDR. Wir erinnern uns an die Montags-Demos – mit denen die mutigen DDR-Bürger die Freiheit erstritten. Die Bilder vom Mauerfall werden wieder lebendig – Momente unbeschreiblichen Glücks, die man selbst in den Medien hautnah spüren und miterleben konnte.

Diese Erinnerungen sind aber nicht nur Vergangenheit, sie sind auch lebendige Mahnung an uns alle, uns immer wieder von Neuem für unsere Demokratie, Frieden, Recht und Freiheit einzusetzen. Das ist wichtig, weil die Einheit Deutschlands und deren Segnungen für uns alle inzwischen oftmals allzu selbstverständlich geworden sind. Und das ist wichtig, weil wir vielfältigen Herausforderungen gegenüberstehen in unserem eigenen Land, in Europa und darüber hinaus.

Herausforderungen, wie die, die sich in den Ergebnissen der Bundestagswahl vor gut einer Woche widerspiegeln.  Herausforderungen an unsere Demokratie, an die Regierenden und die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.

Vor genau einem Jahr ging ich in meiner Rede darauf ein, dass die Menschen in Deutschland nach Orientierung suchen und diese von den demokratischen Kräften an der Spitze unseres Landes erwarten. Und ich sagte, dass es gelte, das entstandene Vakuum zu füllen und Vertrauensverluste zu heilen, damit die „Bauernfänger“ am Rande der Demokratie nicht noch mehr an Stärke und Zulauf gewinnen. Solche oder ähnliche Äußerungen und Mahnungen gab es unzählige –  bis hinauf zur Bundesebene. Genützt hat es wenig…

Die Wählerinnen und Wähler in unserem Land haben reagiert. Sie haben mit ihrer demokratischen Entscheidung die entstandene Kluft zwischen Bürgerwillen und dem Handeln oder Nichthandeln der regierenden, etablierten Volksparteien deutlich markiert. Die Wahlergebnisse sprechen für sich: historische Verluste für Christdemokraten und Sozialdemokraten, größere Parteienvielfalt im Bundestag und Einzug der AfD als drittstärkste Kraft.

Da helfen Lamentieren, Schönreden und die Empörung der verschiedenen Parteien, dass dies ganz schrecklich sei, und vielleicht ja sogar der Wähler daran schuld sei, weil er Vieles nicht richtig verstanden habe, nicht wirklich weiter. Wenig hilfreich ist auch die Reaktion der Bundeskanzlerin auf das Wahlergebnis, dass sie „nicht enttäuscht sei“ bzw. ihre befremdende Äußerung „wir können nicht erkennen, was wir anders machen sollen“.

Tatsächlich gilt, was der Präsident des Deutschen Bundestages Dr. Norbert Lammert zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls ausführte: „Je genauer man hinsieht, desto schwieriger wird der Umgang mit der Demokratie. Sie ist eben nicht nur die beste uns bislang bekannte Staatsform, es ist auch die schwierigste, die anspruchsvollste.“

Ja, Demokratie ist die anspruchsvollste Staatsform. D.h. insbesondere für die regierenden Parteien, das Wählervotum ernst zu nehmen und als konstruktive Kritik anzunehmen. Es bedeutet, daran zu arbeiten, wieder näher an die Menschen und ihre Bedürfnisse heranzukommen, wirklich zuzuhören und nicht nur zu interpretieren oder zu ignorieren. Es heißt auch, für die verschiedenen Handlungs- und Problemfelder jeweils einen klaren Plan, eine klare Linie zu entwickeln, diese verständlich zu kommunizieren und auch danach zu handeln. Das gilt für den Umgang mit sozialen Fragen, Bildungspolitik, Sicherheitsfragen, Einwanderungspolitik, Integration und die aktuellen Fragen in und um die EU u.v.m. Der anspruchsvollsten Staatsform „Demokratie“ gerecht zu werden, heißt zudem – im Rahmen der politischen Debatte um den jeweils besten Weg und das beste Ergebnis zu ringen. Das gilt für alle und mit allen demokratisch gewählten Kräften.

Und wir Bürger? Wir sollten uns angesichts der Entwicklung schon auch fragen, ob wir das, was wir wollen oder nicht wollen, tatsächlich so deutlich artikuliert haben und artikulieren, dass es auf den verschiedenen politischen Ebenen ankommt oder ob wir in der Mehrzahl zu stumm, zu inaktiv, zu desinteressiert, zu träge und eigentlich doch noch zu wenig unzufrieden sind, um aktiv für die Dinge einzutreten, die uns wichtig sind. Dies aber selbstredend im Rahmen des Wertekanons unseres Grundgesetzes, unserer demokratischen Regeln und unseres Rechtsstaates. Die zunehmende Zahl an politisch motivierten Straftaten und Auswüchse, wie die massiven Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg sollten uns hier Mahnung und Handlungsaufforderung sein.

Ein Blick auf die aktuellen Diskussionen in und um die EU zeigt, dass auch hier hier und da eine klare Position und klare Worte seitens der Spitze unseres Landes von Nöten wären. Wir haben eine einzigartige Gemeinschaft für Frieden und Stabilität in Europa geschaffen, die – auch aus dem heutigen Blickwinkel – von unschätzbarem Wert für uns alle ist und von der wir auch in Deutschland profitiert haben und profitieren. Richtig ist aber auch, dass diese Gemeinschaft auf die Solidarität ihrer Mitglieder angewiesen ist, die nicht nur von einzelnen, sondern von allen EU-Staaten gelebt und gepflegt werden muss und die nicht nur dann beschworen wird, wenn es um die Vergemeinschaftung von Schulden geht, sondern auch dann von allen gelebt wird, wenn es darum geht, Regeln einzuhalten, Verpflichtungen wahrzunehmen und Lasten gerecht zu verteilen – siehe Flüchtlingsfrage.

Ja, die Energie und Leidenschaft, mit der Präsident Macron in Sachen Wandel der EU aktiv ist, ist irgendwie erfrischend. Doch auch hier gilt es, genau hinzuschauen, denn manche Idee könnte für Deutschland erneut richtig teuer werden und den nationalen Handlungsspielraum empfindlich einengen. Es geht also auch hier – neben dem aktiven Einsatz für unsere europäischen Werte und unsere Gemeinschaft – darum, die angemessene Balance zu finden und diese seitens unserer Bundesregierung konsequent einzufordern. Denn nur gemeinsam und solidarisch bei einigermaßen gerecht verteilten Lasten können wir all die Herausforderungen in Europa und darüber hinaus auch künftig schultern.

Die Herausforderungen sind bekanntlich mannigfaltig. Krisen, Kriege, Terror, Verfolgung, Flucht, Armut und Hunger beschreiben die riesigen Aufgaben, denen wir in der Welt gegenüberstehen. Frieden, Stabilität und angemessene Lebensbedingungen schaffen, dies ist die Aufgabe unserer Zeit und der kommenden Jahrzehnte. Dieser müssen wir uns – über die Kontinente hinweg – stellen und zwar im Kleinen und im Großen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in unserem Land, in der EU und in der Welt für Demokratie, Frieden, Stabilität, Recht und Freiheit eintreten. Lassen Sie uns die in unserem Grundgesetz verankerten Werte aktiv leben. Lassen Sie uns im Kleinen, wie im Großen für den friedlichen Dialog und eine demokratische, pluralistische und weltoffene Gemeinschaft eintreten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag der deutschen Einheit!

Carda Seidel
Oberbürgermeisterin der Stadt Ansbach