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Dinkelsbühl: Warum schreitet niemand ein?

Liest man seit dem vergangenen Pfingstwochenende 2024 häufiger im Gästebuch  oder bei facebook des Weißstorchs-Horsts auf dem Haus der Geschichte – dem alten Rathaus – von Dinkelsbühl. Dieser Horst lockt sogar Zuschauer aus der Antarktischen Forschungsstation der Neumayer-Station III an.

Durch ein Schlechtwetter-Ereignis mit Regenschauern und Kälte verstarb bis auf einen Jungvogel die komplette Jahresbrut dieses Brutpaares. Die Situation im Gästebuch zeigte sich mitunter emotional „aufgeladen“. Die Frage nach der Verantwortlichkeit des Horstes wurde gestellt. Der Betreiber der WebCam wurde zum sofortigen Handeln aufgefordert. Der verbliebene Jungvogel soll umgehend gerettet werden. Warum schreitet Keiner ein?

In diesen Momenten ist eine Perspektivwechsel oder -übernahme hilfreich:

Was würde ich machen, wenn ich nach Hause komme und erfahre, dass Unbekannte meine Kinder “mitgenommen” hätten? Dieser Satz soll bewusst keinen Storchenfreund reizen. Mit diesem einfachen Satz, lässt sich der Perspektivwechsel schnell herstellen. Ganz gewiss, käme dadurch eine große Zustimmung zustande, dass dies Niemanden gefallen würde.

Auf der einen Seite ist ein Kamera-Horst eine wunderbare Möglichkeit sich mit der Verhaltens- und Brutbiologie des Weißstorchs zu beschäftigen und erhält dadurch sehr tiefe Einblicke. Wir als Menschen, würden diese Nähe wohl nicht tolerieren. Die aktuellen Beobachtungen mögen uns grausam erscheinen. Mehr als andere Vogelarten löst der Weißstorch besonders viel Anteilnahme bei uns aus. Dies liegt an unserer engen Beziehung zu dem eleganten Großvogel.

Der Weißstorch bleibt trotzdem ein Wildtier. Doch müssen wir dabei beachten, dass die Storcheneltern das tun, wodurch sie unter den gegebenen Umständen die größtmögliche Nachkommenzahl großziehen können. Deshalb reduzieren die Altstörche in schlechten Jahren mit wenig Futter oder widrigem Wetter – wie aktuell – bewusst ihre Nachkommenzahl. Nach dem Grundsatz, ein oder zwei einigermaßen ernährte Jungstörche sind besser als vier unterernährte, werfen sie auch mal ihren eigenen Nachwuchs aus dem Nest. In der Regel sind dabei die Jungvögel krank oder bereits verstorben. Dies ist ein ganz natürlicher Vorgang der Arterhaltung. Da Eingriffe in die Nester einheimischer Vogelarten laut Naturschutzgesetz verboten sind, ist dies kein Grund, aktiv in das Brutgeschehen einzugreifen und zu ständigen Störungen am Horst beizutragen. Die in den Medien beschriebenen Rettungsaktionen, sind in der Regel nicht genehmigt und theoretisch strafbar.

Ein ca. 20-köpfiges Team (vielen davon wurden mit speziellem Artenwissen durch den zu Jahresbeginn verstorbenen Storchenfachmann Herrn Thomas Ziegler noch vertraut gemacht) kümmert sich nun um eine dreistellige Horstanzahl des Weißstorchs im gesamten Landkreis Ansbach. Wenige davon sind mit Webcams ausgestattet.

Aktuell geht es dem verbliebenen Jungvogel gut und wird von den Elternvögeln versorgt. Die verstorbenen Jungvögel werden durch eingebrachtes Moos bald überdeckt sein. Auch wir als Horstbetreuer/innen sind bei solchen Anblicken nicht erfreut. Anfang der 2010er Jahre brach durch ein Schlechtwetterereignis die Weißstorchpopulation förmlich ein. Aktuell ist die Weißstorchpopulation im Bundesgebiet arterhaltend, d.h. die Art kann ohne Unterstützung sich selbst erhalten. Einen Zustand, den man sich in den 1980er Jahren nicht hätte vorstellen können, da er zu dieser Zeit – vor allem in Bayern – fast ausgestorben wäre. 2024 ist ein besonderes Jahr für den Weißstorch, da der internationale Weißstorch-Zensus erhoben wird.

Generell gilt der Grundsatz der Wildtierhilfe: Wenn ein hilfsbedürftiges Wildtier gefunden wird, scheuen Sie sich nicht Fachleute zu kontaktieren. Ein Anruf bei der Polizei oder Feuerwehr ist hierbei nicht geboten.

Für den Weißstorch können Sie sich an das Team des Weißstorchschutzes der LBV-Kreisgruppe Ansbach wenden: storch-ansbach@lbv.de

Weitere Informationen:

https://ansbach.lbv.de/naturschutz-mitmachen/weißstorch

Quelle: LBV Ansbach

In anderen Horsten haben viele Jungstörche überlebt und werden gut versorgt.