Bezirk und mittelfränkischer Behindertenrat informierten zur Übergangsregelung des BTHG
Das neue „Bundesteilhabegesetz“ (BTHG), das das bundesdeutsche Leistungsrecht für Menschen mit Behinderungen nach Jahrzehnten grundlegend reformieren soll, ist keine leichte Kost, weder für die davon betroffenen Menschen, ihre Angehörigen und rechtlichen Betreuer, noch für die zuständigen Verwaltungsbehörden und Wohlfahrtsverbände. Der Kern des Gesetzes, größere Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft, droht verschüttet zu werden vom bei der Umsetzung zu beachtenden Übermaß an Verwaltungsvorschriften.
Eine Gruppe Interessierter rund um die Vorsitzende des mittelfränkischen Behindertenrats, Angelika Feisthammel, hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, in immer wieder stattfindenden Informationsveranstaltungen betroffene Menschen möglichst gut zu informieren, ihnen aber vor allem Mut zu machen, für ihre guten und neuen Rechte einzutreten und mehr Teilhabe einzufordern. Von Anfang an hat sich auch der Bezirk Mittelfranken, zunächst in Person des früheren Präsidenten Richard Bartsch, nun durch den Bezirkstagspräsidenten Armin Kroder, den Inklusionsbeauftragten Lothar Baumüller sowie die Sozialverwaltung dieser Initiative angeschlossen, so dass nun im Bezirksrathaus die bereits fünfte Informationsveranstaltung stattfinden konnte.
Nach Begrüßungen durch Lothar Baumüller und Armin Kroder, die die knapp 200 Anwesenden dazu aufriefen, ihr Recht auf mehr Inklusion einzufordern, da letztlich die ganze Gesellschaft etwas davon habe, fand vor allem Feisthammel deutliche Worte: das neue Gesetz wolle das „Empowerment“ der Menschen mit Behinderungen unterstützen, mehr Autonomie ermöglichen und helfen, eigene Interessen selbstbestimmt wahrzunehmen. Jeder Mensch mit Behinderungen habe auch in Deutschland nun das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er oder sie wohnen wolle. Das dürfe nicht am Geld oder irgendwelchen Vorschriften scheitern und Politik und Verwaltung seien nicht dazu da, zu erklären, warum das nicht ginge, sondern das zu ermöglichen, auch wenn es etwas koste. Die ganze Gesellschaft würde von mehr Humanität und Barrierefreiheit, auch in einem übertragenen Sinne profitieren.
Thomas Bannasch, Geschäftsführer der „LAG Selbsthilfe“, der landesrechtlich für die Umsetzung des BTHG zuständigen Vertretung der Menschen mit Behinderungen, zeigte sich sehr erfreut vom starken Engagement in Mittelfranken, von dem andere Bezirke sich etwas abschauen sollten. Er erläuterte die Umsetzungsschwierigkeiten des Gesetzes auf dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Einzelinteressen und ermunterte wie alle anderen Redner die Zuhörer, sich ihrer eigenen Fragen und Bedarfe bewusst zu werden und diese selbstbewusst zu vertreten.
In Vertretung einer Kollegin der LAG Selbsthilfe referierte Michael Groß (Caritas) zur Übergangsregelung in Bayern, die in der Zeit zwischen Januar 2020 bis Dezember 2022 eine Trennung von Fachleistungen (persönliche Hilfe für den Einzelnen) und existenzsichernden Leistungen vornimmt. Alle Betroffenen müssen dazu eigene Konten eröffnen und erhalten (sofern sie nicht ein eigenes Einkommen haben) Taschengeld, Kleidergeld, Freizeitpauschale, Essensgeld und die Kosten für die Unterkunft direkt vom Bezirk überwiesen. Sie müssen dann ihre Miete und das Essen an den Träger des Heims (künftig: gemeinschaftliches Wohnen) bezahlen. Mit der Übergangsregelung wird ein Zwischenschritt zur vollgültigen Umsetzung des BTHG zum 01.01.2023 getan, die dann eine ganzheitlichere Art der Bedarfsermittlung und eine individuelle persönliche Hilfeleistung bringen wird. Bis dahin sei der Weg noch weit.
Karin Keitel, Bewohnerin in einem Wohnheim, und Sabrina Wölfel, Betroffene in eigener Wohnung mit persönlicher Assistenz, erzählten von ihrem teils sehr beschwerlichen Alltag, ihren Hoffnungen an die Umsetzung des BTHG und ihren Ängsten. Beide verdeutlichten glaubwürdig ihr entschiedenes Eintreten für ein selbstbestimmtes Leben.
Anschließend gab es seitens der Besucher eine Fülle an Fragen. Im Vordergrund standen dabei die Themen Fachkräftemangel, Mittagessen in Werkstätten und Mangel an bezahlbaren barrierefreien Wohnungen. Deutlich wurde, dass viele Probleme nicht vom Bezirk, sondern nur auf Bundesebene gelöst werden können. Christine Egerer, Juliane Hofmayer, Horst Rauh – aus der Sozialverwaltung des Bezirks – und Michael Groß (Caritas) standen in dieser Fragerunde Rede und Antwort.
Nach fast drei Stunden musste Baumüller die Fragerunde abbrechen. Es erfolgte ein Hinweis auf die Beratungsangebote der mittelfränkischen Sozialpsychiatrischen Dienste, Offenen Behindertenarbeit, Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung, Werkstatträte und des Behindertenrats, wo man sich individuell informieren könne.
Das Veranstaltungsformat wurde sehr gelobt. Gerügt wurde, dass die Informationen zum BTHG nur langsam bei den betroffenen Menschen mit Behinderungen (in Mittelfranken im Leistungsbezug des Bezirks 26.000, insgesamt etwa 170.000) ankommen.
Quelle: Bezirk Mittelfranken