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Betriebe in ihrer Existenz bedroht – Volle Auftragsbücher und kein Material

Materialkrise im Handwerk

Ansbach, 28. Juni 2021 – Die Impfungen schreiten voran, die Inzidenzen fallen. Aber die Coronakrise ist noch lange nicht überstanden. Die Wirtschaft kämpft derzeit mit fehlendem Material und Rohstoffen. Gründe hierfür sind nicht nur die Pandemie, sondern auch der Klimawandel und andere wirtschaftliche Entwicklungen Das Handwerk und damit auch der Kunde sind davon stark betroffen.
Stellvertretend für viele: das Bau- und Ausbaugewerbe. Die Auftragsbücher sind voll, es gibt viel zu tun. Allerdings ist die Beschaffung der Materialien äußerst schwierig. Holz, Stahl, Dämmstoffe und noch vieles mehr sind knapp und nur noch schwer zu bekommen. Und weil das nicht nur in Mittelfranken, Bayern, Deutschland, sondern auch weltweit so ist, schießen in vielen Bereichen die Preise durch die Decke.

Extremfall Holz
Allein der Holzpreis hat sich seit November um 300 Prozent erhöht. Der Grund: Große Kontingente des in Deutschland geernteten Holzes werden nach China und in die USA geliefert. Denn auch dort boomt die Baubranche, befeuert durch die milliardenschweren Konjunkturprogramme der US-Regierung. Holz aus dem benachbarten Kanada ist knapp, dort grassiert der Borkenkäfer. Die verheerenden Waldbrände in Kalifornien und ein Handelsstreit führten dazu, dass die USA 42 Prozent mehr Nadelschnittholz aus Deutschland importieren als noch 2019.
Holzverarbeitende Betriebe, wie zum Beispiel Zimmereien sind jetzt in der Zwickmühle. Markus Bauer, Inhaber der Zimmerei Gebhard in Feucht, hat, wie viele seiner Kollegen, mit den Lieferzeiten zu kämpfen. Vor Corona konnte er seine benötigten Dachlatten direkt vom Lager mitnehmen. „Dieses Jahr mussten wir die Dachlatten bestellen und haben eineinhalb Monate auf sie gewartet“, erklärt er die momentane „ziemlich angespannte“ Situation: „Teilweise können die Lieferanten selbst nicht sagen, ob das Material geliefert werden kann und wann.“ Sein Kollege Christian Ott, Inhaber der Firma Holzbau Ott, kann das nur bestätigen: „Es sieht übel aus“, sagt er, und nennt gleich ein Beispiel: „Für einen Kindergarten, der im September dieses Jahres eröffnet werden soll, haben wir das benötigte Material im Februar bestellt. Im Mai wurde der Auftrag bestätigt, das Material soll im August geliefert werden… Wenn überhaupt“, und fügt hinzu: „Jede Auftragsbestätigung ist ein Blatt Papier, aber man kann sich auf die Zusagen nicht mehr verlassen.“ Ott sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Politik „Wenn die Versorgung im Land nicht mehr gewährleistet ist – und das ist jetzt der Fall – dann kann man dies nicht als Nebensächlichkeit abtun und sich auf die Gesetze der Marktwirtschaft berufen.“
Aber es geht noch weiter. Die Betriebe können die gestiegenen Materialpreise, die im Vertrag mit den Bauherren festgelegt sind, nur sehr schwer oder gar nicht an die Bauherren abgeben und bleiben damit auf den Mehrkosten sitzen. Christian Ott befürchtet, „dass dies mit Sicherheit einige Firmen die Existenz kosten wird.“ Aber auch das „Öko-System“ Baustelle, bei dem alle Gewerke Hand in Hand arbeiten müssen um voranzukommen, ist von den vermehrten Lieferschwierigkeiten betroffen. Fällt ein Gewerk aus, kann das andere nicht weitermachen. Verzögerungen beim Bau oder gar ein Baustopp kosten letztendlich alle Beteiligten – Handwerker und Bauherren – viel Geld. Paradox: Betriebe mit vollen Auftragsbüchern müssen Kurzarbeit anmelden, weil sie die Materialien nicht beschaffen können oder sie nicht geliefert werden.

Exkurs: Kalamitätsholz und die Bürokratie
Unter den exportierten Hölzern befindet sich auch das sogenannte Kalamitätsholz, also Hölzer, deren Nutzung wegen Schädlingsbefall (Borkenkäfer) in Deutschland nicht erlaubt ist. Obwohl in diesem Fall nur die Rinde befallen ist, werden die Stämme zu Billigpreisen nach Übersee verschleudert. „Das Holzangebot wäre deutlich größer, wenn auch das Kalamitätsholz genutzt werden könnte. Dagegen, das lediglich optisch eingeschränkte Holz zu nutzen, sprechen die gültigen Normvorschriften. Deshalb muss auf das reguläre Holz zurückgegriffen werden, das seltener und natürlich auch teurer ist“, sagt Klaus Haller, Geschäftsführer der Bau-Innung Nürnberg. Müssten solche Vorschriften im Sinne der Nachhaltigkeit dringend überarbeitet werden? Dieser Meinung ist Prof. Dr. Forster, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Mittelfranken „Es ist leider mal wieder ein Beispiel für sinnlose Bürokratie. Brauchen wir insbesondere in Zeiten von Rohstoffmangel Arbeitstreppen in Rohbauten aus 1a Holz oder darf‘s nicht auch Holz mit Blaustich sein, das allen Arbeitsschutzanforderungen genügt? Hier fehlt es an Realitätssinn.“
Das würde dann den Handwerkern und auch den „Häuslebauern“ zugutekommen. Denn: Wenn selbst eine Dachlatte, die noch im letzten Jahr 0,50 € pro laufendem Meter gekostet hat, nun 1,80€ kostet, kann man sich unschwer vorstellen, dass zum Beispiel der Bau eines Holzhauses im Moment im Schnitt 50.000 € mehr kosten wird. Wer soll das bezahlen?

Elektro-Handwerk
Dasselbe Bild zeigt sich in anderen Gewerken. Im Elektrohandwerk fehlt es praktisch an allem: Chips für smarte Technologien wie zum Beispiel Bewegungsmelder, Kupfer für Kabel, Kunststoffe für Isolierungen, Steckdosen, Schalterelemente, Stahl für Elektromaschinen und -motoren. Selbst Holz für Kabeltrommeln fehlt. „Den Unternehmen droht paradoxerweise trotz voller Auftragsbücher und anziehender Nachfrage Unheil. Aufträge können aufgrund der sich verschärfenden Lieferengpässe bei nahezu allen für uns relevanten Produkten nicht mehr abgearbeitet werden“, sagt Obermeister Roland Paulus von der Innung für Elektro- und Informationstechnik Nürnberg-Fürth und ergänzt: „Es darf nicht sein, dass nun die Handwerksbetriebe die Liefer- und Beschaffungsprobleme sowie die Materialknappheit allein ausbaden müssen.“

Metallverarbeitendes Handwerk
Michael Heidrich, Inhaber des Metallunternehmens Erich Heidrich GmbH in Nürnberg, beschreibt die Situation in seinem Betrieb so: „Im Büro saufen wir ab. Die Preise ändern sich praktisch täglich. Wir haben eine Preisbindung von zwei Wochen. Wir müssen unsere Angebote ständig aktualisieren.“ Zudem seien die Lieferzeiten hochgeschraubt, „aktuell zwischen 14 und 18 Wochen“, erklärt der Obermeister der Metall-Innung Nürnberg. Lieferschwierigkeiten sind auch beim ihm keine Seltenheit, zum Beispiel beliefern Lieferanten teilweise nur noch ihre Stammkunden. Besonders die Situation auf dem Stahlmarkt beschäftigt den Obermeister. Um mehr als ein Viertel hat der Materialpreis innerhalb eines Jahres zugelegt. Die Wirtschaftspolitik Chinas spielt dabei nach Meinung Heidrichs eine große Rolle. China hat sich vom Stahlexporteur zum Stahlimporteur entwickelt und kauft den Stahlmarkt leer. Und Heidrich ist sich sicher: „Die Kriegsführung hat sich schon lange in den wirtschaftlichen Bereich verschoben. Der Einfluss Chinas wächst mit jedem Unternehmen, das von Chinesen aufgekauft wird.“

Fazit: Im Handwerk brodelt es, Existenzen stehen auf dem Spiel und das in einem Bereich, der noch vor kurzem als systemrelevant eingestuft wurde. Forster: „Jetzt wäre ein guter Moment, die lange versprochene Entbürokratisierung fürs Handwerk schnell, pragmatisch und sofort wirksam zu starten. Die globalen Handelsströme können wir nicht steuern, den Borkenkäfer sicher nicht bekämpfen – aber sinnlose Bestimmungen fürs hiesige Handwerk sollten jetzt ad acta gelegt werden.“

Quelle: Handwerkskammer für Mittelfranken