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Interview mit Dr. Günther Beckstein: Transformation ins digitale Zeitalter

Seit 1974 gehörte er fast 40 Jahre dem Bayerischen Landtag ununterbrochen an, war 14 Jahre Innenminister und wurde 2007 der erste fränkische und evangelische Ministerpräsident Bayerns. Bundesweit ist er aufgrund seiner harten Sicherheitspolitik einer der bekanntesten bayerischen Politiker, aber auch wegen seiner klaren wirtschaftspolitischen Kompetenzen ist er gefragt. Zudem setzt er sich sehr für seine mittelfränkische Heimat ein. Wir sprach mit ihm über die Regierungsbildung in Berlin, den Brexit und den Dieselskandal.

MAGAZIN: „Wollten Sie immer Politiker werden?“

Dr. Günther Beckstein: „Überhaupt nicht, ursprünglich wollte ich Staatsanwalt werden. Dazu habe ich Jura studiert und bin dann eher zufällig in die Politik gekommen. Ich war in der Jungen Union,
und für Nürnberg wurde ein Landtagskandidat gesucht, der drei Eigenschaften haben sollte: Erstens evangelisch, zweitens jung und drittens sollte er nicht merken, dass er eigentlich keine echte Chancen hat. So bin ich aufgestellt worden, habe aber im zweiten Anlauf den Einzug in den Landtag geschafft. Zunächst war die Politik neben meinem Beruf, das war damals durchaus machbar. Ich habe mich dann ganz bewusst dafür entschieden, nicht zum Staat zu gehen, denn man kann nicht gleichzeitig in der Legislative und der Exekutive arbeiten. 1988 wurde ich Berufspolitiker, dann war das Innenministerium natürlich mein Traumjob.“

MAGAZIN: „Was war Ihre wichtigste politische Entscheidung, die Sie getroffen haben?“

Dr. Günther Beckstein: „Als Politiker fällt man viele wichtige Entscheidungen, auch wenn es nicht immer auffällt. Die Privatisierung der Bayerischen Versicherungskammer gehört dazu, die zuvor eine Behörde des Bayerischen Innenministeriums war. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wichtig waren auch die Umorganisation der Bauverwaltung und der Polizei, um diese schlagkräftig zu machen. Auch die Technologieinitiative war sehr wichtig.“

MAGAZIN: „Meinen Sie, dass sich durch den Einzug der AfD in den Bundestag etwas verändert? Ist sie in irgendeiner Weise gefährlich für die Demokratie?“

Dr. Günther Beckstein: „Dadurch dass rund 25 Prozent die AfD und die Linke gewählt haben, die beide aus unterschiedlichen Gründen für eine Regierungsbildung nicht in Frage kommen, wird es schwieriger, eine stabile Regierung zu bilden. Das ist immer so, wenn die Extremen stärker werden. Wir haben erlebt, dass Jamaika nicht geklappt hat, es ist alles andere als sicher, ob eine große Koalition klappt. Zudem ist natürlich weder für die Parteien noch für die Demokratie eine dauerhafte große Koalition eine optimale Lösung. Daher führt die AfD dazu, dass es instabiler wird. Ein weiteres Problem ist, wenn sich eine rechtspopulistische Partei nicht ordentlich gegenüber dem Rechtsextremismus abgrenzt. Das führt dazu, dass die Gesellschaft polarisiert wird, in der Folge wird es schwieriger, das Land zusammenzuhalten. Eine Gefährdung der Demokratie ist das nicht, unsere Demokratie ist stabil genug und wird das aushalten.“

MAGAZIN: „Aber ist das Wahlergebnis nicht ein Zeichen von Politikverdrossenheit?“

Dr. Günther Beckstein: „Man muss zugeben, dass die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 und der Linksrutsch der CDU dazu geführt haben, dass im rechten Bereich eine Partei stärker geworden ist. Aber es gibt auch andere Motivationen, denn die AfD ist im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise entstanden. Ich bin noch von Franz Josef Strauß geprägt und habe als junger Politiker gelernt, rechts von der CSU darf keine demokratisch legitimierte Partei entstehen. Jetzt ist das doch passiert und das ist eine große Herausforderung für die Union. Es darf nicht kommen, was im linken Lager passiert ist, denn durch die Spaltung ist die SPD letztlich zu einer 20-Prozent-Partei geworden. Das kann nicht unser Ziel sein, sondern wir müssen alles tun, dass wir wieder die bürgerliche Wählerschaft hinter uns vereinen, insbesondere in Bayern.“

„Wir brauchen Unternehmer, die ein vernünftiges Risiko eingehen, die Innovationsgeist haben und bei denen nicht ‚das haben wir schon immer so gemacht‘ der wichtigste Satz ist.“

Mathias Neigenfind mit Dr. Günther Beckstein

MAGAZIN: „Die Mittelfranken waren 2007 froh, dass es endlich einen fränkischen Ministerpräsidenten gab. Doch mit der Wahl 2008 hat man den Eindruck gewonnen, die Nieder- und Altbayern wollten das nicht. Sind Sie noch sauer auf die Altbayern?“

Dr. Günther Beckstein: „Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mein Wahlergebnis schlichtweg schlechter war, als ich es erwartet hatte. Mein Wahlziel war die absolute Mehrheit, und deswegen habe ich auch nicht lange herum getan, als dies verfehlt war. Ich habe dann nicht wieder kandidiert. Ob das Wahlergebnis an den Nieder- und Oberbayern lag, vermag ich nicht zu sagen. Eins habe ich allerdings in der Tat erlebt, dass es für einen Franken eine Herausforderung ist, in Kernbayern, insbesondere in Altbayern, akzeptiert zu werden. Das wird jeder fränkische Ministerpräsident erfahren.“

MAGAZIN: „Der nächste steht ja schon in den Startlöchern. Hat Markus Söder eine Chance?“

Dr. Günther Beckstein: „Markus Söder ist ein ernsthafter Anwärter als Nachfolger für Horst Seehofer. Er hat auch großen Rückhalt in der Landtagsfraktion. Es spricht also alles dafür, dass der nächste Ministerpräsident ein Franke wird.“

MAGAZIN: „Eine weitere Herausforderung ist der Brexit, wie geht es dort Ihrer Meinung nach weiter?“

Dr. Günther Beckstein: „Das ist ein weit tieferer Einschnitt für die EU als die Meisten annehmen, denn Großbritannien ist die zweitgrößte Volkswirtschaft, hat mehr Wirtschaftskraft als die 15 kleineren Länder der EU zusammengenommen. Außerdem hat sich die EU bisher nur vergrößert, jetzt gibt es plötzlich einen Austritt. Das ist etwas, was die Europäische Union schon massiv verändern wird. Ich selber hoffe, dass es noch zu einer vernünftigen Einigung kommt, denn England bleibt ein europäisches Land, auch wenn es nicht mehr in der EU ist. Aber ich habe die große Sorge, dass es wahrscheinlich zu keiner Regelung kommt, sondern dass es einen harten Brexit gibt. Nicht nur für die Wirtschaft in Großbritannien, sondern auch in Deutschland wird das spürbar sein, denn wir sind die Exportnation Nr. 1 in der Welt, und der Handel mit England wird deutlich beeinträchtigt werden.“

MAGAZIN: „Wie wird es mit Donald Trump und den Beziehungen zu den USA weitergehen?“

Dr. Günther Beckstein: „Trump ist eine ganz schwierige Persönlichkeit, das ist offensichtlich. Ich hatte allerdings vorhergesagt, dass er gewählt wird, und ich bin mir sicher, dass er wiedergewählt wird. Trump verkörpert das, was viele Amerikaner denken. Nicht die Amerikaner der Ost- oder Westküste, in Washington DC oder im Establishment. In Washington DC hat Trump übrigens nicht einmal fünf Prozent der Stimmen bekommen. Aber im Rostgürtel der Vereinigten Staaten gefällt es den Amerikanern, dass er sich nicht an die herkömmlichen Regeln hält und alles diplomatisch abwägt, sondern ‚America first‘ propagiert. Das halten dort Viele für richtig. Die Vereinigten Staaten sind ein Land, in dem die Infrastruktur teilweise den Standard eines Entwicklungslandes hat. Wenn man sich Detroit ansieht, bekommt man ein Bild davon, wie groß die sozialen Schwierigkeiten sind. Das kann man sich gar nicht vorstellen, es gibt keine gesetzliche Krankenversicherung und der Sozialstaat ist nicht ausgebaut. Die Amerikaner sind mit 23 tausend Milliarden fast so verschuldet wie Italien, der größte Gläubiger ist China. Diese Fakten zeigen, in welcher schwierigen Lage das Land ist, und deshalb haben viele Amerikaner nicht Clinton als Fortsetzung der bisherigen Politik gewählt, sondern jemand anderen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Trump mit der Wahrheit recht locker umgeht und dass er manchmal auch Wahrnehmungsstörungen hat. Das ist für uns schon gewöhnungsbedürftig. Das sind alles Dinge, wo ich ganz klar sage, Europa muss sehr viel stärker auf eigene Füße kommen.“

MAGAZIN: „Sind die kurzen Twitter-Meldungen vielleicht auch ein Indiz dafür, dass die Menschen nur noch immer kürzere und knackigere Bemerkungen wahrnehmen?“

Dr. Günther Beckstein: „Die Menschen sind gewohnt, nur die Überschriften zu lesen. Wenn im Fernsehen ein langes Interview nur 120 Sekunden dauert, dann bleibt wenig Zeit, um alle Facetten abzuwägen. Das ist die Gefahr der Politik, dass sie sehr viel schlaglichtartiger wird. Die Menschen nehmen sich auch nicht die Zeit, lange Sendungen anzuschauen oder lange Zeitungsartikel zu lesen, und das verändert sowohl die Menschen, als auch die Politik. Dass Trump auf Twitter setzt, ist daher kein Zufall. Und dass sich die AfD in besonderer Weise über die sozialen Medien äußert und nicht über die herkömmlichen Medien, ist auch etwas, was von uns etablierten Parteien unterschätzt worden ist.“

MAGAZIN: „Was halten Sie vom Wirtschaftsstandort Deutschland?“

Dr. Günther Beckstein: „Deutschland ist ein wirtschaftlich sehr starkes Land, wir haben eine boomende Wirtschaft, die insgesamt wirklich in einem erfreulichen Zustand ist. Allerdings sollten wir uns nicht darüber hinweg täuschen, dass gerade der Automobilsektor vor einer schwierigen Weggabelung steht, denn wir leben in Deutschland von Autos, die wir politisch bekämpfen. Diese stoßen allesamt mehr CO2 aus, als es nach den europäischen Richtlinien vorgesehen ist. Wir leben nicht von dem 1er BMW, sondern wir leben von den großen Fahrzeugen, die entsprechend hohe Verbrauche haben, die eigentlich reduziert werden müssten. Die deutsche Automobil-industrie hat das Know-how, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Die große Aufgabe wird aber sein, dass die gesamte deutsche Wirtschaft die Transformation ins digitale Zeitalter bewältigt. Im Maschinenbau mit der Frage der künstlichen Intelligenz oder beim selbstfahrenden Auto ist dieser Wandel ins digitale Zeitalter keine Frage mehr. Da ist Deutschland ganz weit vorne, obwohl wir im Bereich der Hardware nichts zu bieten haben und auch bei der Software die Amerikaner weit vor uns sind. Aber bei der Anwendung für die Menschen oder für die Wirtschaft sind wir gut drauf. Darum glaube ich, dass der Standort Deutschland hat eine sehr, sehr gute Zukunft hat.

MAGAZIN: „Was denken Sie über das Unternehmertum in Deutschland?“

Dr. Günther Beckstein: „Ich komme aus dem freien Beruf Rechtsanwalt und war lange Zeit in einem Ministerium. Wenn jemand in einer Behörde nur denkt, wie man sich absichert, kann er Wirtschaft nicht so gestalten, wie es notwendig wäre. Wir brauchen Unternehmer, die ein vernünftiges Risiko eingehen, die Innovationsgeist haben und bei denen nicht ‚das haben wir schon immer so gemacht‘ der wichtigste Satz ist. Deshalb hat das Unternehmertum die zentrale Bedeutung für die Zukunft, gerade Mittelständler. Große Industriefirmen sind fast so bürokratisch wie Staatsbehörden oder -unternehmen. Ich bin froh, dass wir im Süden Deutschlands auch den Kern der mittelständischen Unternehmer haben – in unserer Region übrigens auch.“

MAGAZIN: „Das vergessen die Franken manchmal?“

Dr. Günther Beckstein: „Wenn bei den Oberbayern etwas halbwegs ordentlich ist, wird das gleich als Weltspitze verkauft. Wenn wir Franken wirklich gut sind, heißt es ‚basst scho‘. Ein gewisses Maß an Zurückhaltung ist gut, und es gefällt mir, dass wir keine Egozentriker sind. Das muss man aber auch nicht übertreiben. Manchmal führt das dazu, dass die Franken nicht ihre Chancen ergreifen, die möglich sind. Dies gilt übrigens in besonderer Weise für die Region Ansbach. Ich kenne diese wirklich sehr gut, und die wenigsten Menschen wissen überhaupt, wie hoch die Lebensqualität ist. Ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein täte uns gut, denn Menschen kommen nicht gern dorthin, wo gejammert wird. Wenn man sich selbst schlecht macht, wird man nicht attraktiv. Wir sollten also unsere Qualitäten deutlich herausstellen, da ist noch ein gewisses Maß an Nachholbedarf.“

MAGAZIN: „Wie groß sind die demografischen Herausforderungen für Mittelfranken?“

Dr. Günther Beckstein: „Ich halte es durchaus für möglich, dass sich der Trend, in die Großstädte zu ziehen, wieder umkehrt. Der Wohnungsmangel und die Mieten sind ein großes Problem, gerade für junge Menschen. Umgekehrt gibt es mit dem Internet Möglichkeiten, dass man ohne Weiteres im ländlichen Raum leben und mit allen Zentren der Welt kommunizieren kann. Ein Architekt muss nicht in München sitzen. Wenn wir uns selber darüber bewusst sind, können wir die Herausforderungen in den Griff bekommen.“

MAGAZIN: „Mit welchen Folgen müssen wir beim Dieselskandal rechnen?“

Dr. Günther Beckstein: „Ich hoffe sehr, dass die deutsche Automobilindustrie das bewältigt. Die Schweinereien im VW-Konzern sind ärgerlich, wobei es mich besonders empört, dass die entsprechenden Führungspersönlichkeiten immer noch zweistellige Millionenbeträge verdient haben, mit Zustimmung des Landes Niedersachsen und der IG-Metall. Wir sollten uns bei der Betrachtung aber nicht nur auf die Manager beschränken, meines Erachtens ist da auch ein Teil Wirtschaftspolitik der Amerikaner dabei. Sie wollen die Automobilindustrie in Deutschland zurückdrängen und amerikanische Produkte stärker in den Vordergrund bringen, Länder wie China werden so etwas dankbar aufnehmen. Wir müssen den Dieselskandal schleunigst bewältigen. Die Frage der Fahrverbote ist für die Kommunen eine besondere Herausforderung und ich hoffe sehr, dass die Gerichte hier das Maß behalten und nicht zu irgendwelchen radikalen Maßnahmen greifen. Die große Veränderung, die in den nächsten zehn Jahren weltweit die gesamte Automobilindustrie betreffen wird, kann bewältigt werden. Ich bin mir sicher, die Deutschen werden auf jeden Fall vorne sein.“

MAGAZIN: „Wie wichtig ist für Sie der evangelische Glaube?“

Dr. Günther Beckstein: „Mein Glaube hat mir sehr geholfen. Wenn man vor einer schwierigen Entscheidung ein kurzes Bittgebet spricht und nachdem etwas gut gegangen ist ein kurzes Dankgebet, dann hat das eine ganz, ganz wichtige Bedeutung. Wenn man weiß, dass Christus für die eigene Schuld gestorben ist, gibt dass Halt und gerade weil wir einen persönlichen Gott haben und damit das Individuum im Mittelpunkt steht, haben die Menschenrechte eine zentrale Bedeutung. Ich bin froh und dankbar für meinen evangelischen christlichen Glauben und freue mich auch, dass die Gegensätze zwischen den Konfessionen in Deutschland jetzt zurücktreten, denn für die meisten Menschen spielen diese keine Rolle mehr. Das absolut dominierende ist doch, dass wir gemeinsame Christen sind und nicht die Konfession. Es war gut, dass das Reformationsjubiläum die Ökumene in den Mittelpunkt gestellt hat, und ich hoffe sehr, dass junge Menschen wieder mehr zum Glauben finden, denn er ist eine große Hilfe zum Leben. Die falschen Götter oder auch der Götze Geld sind alle sehr brüchige Lebenshilfen, da ist ein stabiler Glaube etwas Besseres.“

Bildnachweis: BLMAG

Quelle: Business Lounge Magazin

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