DER ANFANG
Im Herbst 2017 saß ich mit Sophie Oldenstein (Dramaturgin & Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Theater Ansbach) im Café. Und da, ohne sich über die weitreichenden Folgen klar zu sein, erwähnte Sophie den Erwachsenenspielclub.
So ein Bericht zum Thema Laientheater würde mir gut gefallen. Aber: Bin ich nicht zu alt für solche Experimente und ist das nicht purer Leichtsinn so mit Null Theatererfahrung? „Nö!“, meinte Sophie, und das Programmheft drückt es Schwarz auf Gold so aus:
„Der Spielclub freut sich auch auf neue Mitstreiter. Der Erwachsenenspielclub ist generationenübergreifend, jedes Alter ist willkommen.“
Meine Neugierde siegt und so tausche ich jeden Mittwoch ab 17:30 Uhr für 1,5 Stunden das allabendliche Theater mit meinem Sohn gegen ein anderes Theater.
Ein paar alte Hasen gibt es in der Gruppe, ein paar neue kommen dazu. Neun Frauen, ein Mann.
Alle im Rentenalter und sehr lebens- und zum Teil spielerfahren… und ich.
Nach einigen Wochen haben wir uns auf das Stück, das wir dann aufführen wollen, geeinigt:
„Ophelias Schattentheater“ soll es sein, eine Geschichte von Michael Ende. Einstudiert hat es mit uns ein weiterer Michael, nämlich der Theaterpädagoge und Dramaturg am Ansbacher Theater: Michael Schmidt.
Im Zentrum des Stücks steht das Fräulein Ophelia, eine ehemalige Souffleuse, die in ihrem alten, inzwischen geschlossenen, Theater auf einen vereinsamten Schatten trifft und diesen bei sich aufnimmt. Immer mehr solcher Schatten kommen hinzu und ziehen bald mit Ophelia als wanderndes Schattentheater durchs Land.
Ähnlichkeiten mit lebenden Theatern sind rein zufällig und nicht beabsichtigt (Anmerkung der Redaktion)
KARINS VORBEREITUNG UND REAKTIONEN DES FREUNDESKREISES
Dreimal werden wir Ophelias Schattentheater aufführen: Am 2., 3. und 5. Juni 2018.
Während die Termine lange Zeit noch ewig weit weg scheinen, wird es dann doch langsam ernst: Probenwoche ist angesagt. Wir dürfen endlich auf die Bühne!
Mein Umfeld ist eingeweiht, und ich erzähle auch ungefragt jedem, den ich treffe, wie aufgeregt ich bin.
Drei Fragen kommen immer wieder: „Kannst Du Deinen Text schon?“ – „Klar kann ich meine Texte – könnt Ihr jedes Möbelstück im Haus fragen.“
„Welche Rolle spielst Du denn?“ – „Eine?? Acht!“
Und die Frage, ob ich denn eine tragende Rolle habe, beantworte ich selbstbewusst und wahrheitsgemäß mit einem „Ja, und wie!“ – Und wie ich trage… Stühle von links nach rechts, Schlüssel, warme Kleidung und am Ende sogar einen Hut. Also, war ja nicht gelogen.
ANPROBE
Ich treffe mich mit Vera Goth und Michael Schmidt im Posthof, in der Requisite des Theaters. Es riecht nach Staub und auch ein klein wenig nach Mottenkugeln oder zumindest dem, was ich als den Geruch von Mottenkugeln abgespeichert habe, als wir durch die langen Reihen von hängenden Klamotten streifen und nach den Outfits für mich suchen. Wir finden für meine Rolle als Tod nicht nur mein Lieblings-Accessoire, einen Hut, sondern auch einen megatollen schwarzen Mantel, den ich zu unterschlagen beabsichtige.
KURZ VOR DER PREMIERE / Toitoitoi-lette
Kurz vor der Premiere kommen Michael und die Intendantin zu uns in die Garderobe. Für jede/n von uns eine Rose; dann wird wild über Schultern gespuckt, toitoitoi, apropos und nochmal schnell auf Toilette gegangen.
Ich bin nervös!
DIE PREMIERE
Die Premiere ist glatt ausverkauft. Wir spielen zwar nicht im großen Saal, aber doch auf der großen Bühne hinter dem Eisernen. Hier kommt man dem Publikum sehr nah. Schon bei meinem ersten Auftritt – ich trage in der Rolle des Bühnenmeisters einen Stuhl nach vorne – könnte ich den Besuchern in der ersten Reihe die Knie tätscheln. Das Publikum hat Platz genommen, das Licht erlischt. Und da weiß ich nun, warum man von Blackout spricht.
Was mache ich hier eigentlich? Und was muss ich eigentlich gleich machen? Ich muss da jetzt durch, das hilft alles nichts. Ich schicke ein Stoßgebet in den Himmel und hoffe, dass Willi mir in seiner Rolle als Gott himmlischen Beistand bietet.
Tatsächlich muss ich nichts weiter tun als einen Stuhl hineinzubringen und diesen ganz vorne am Bühnenrand verkehrt herum hin zu stellen und trotzdem: Ich bin so aufgeregt als ob ich bei einer royalen Hochzeit das Ave Maria singen müsste.
Ich vermeide, meinen Blick durch die Zuschauer schweifen zu lassen und fixiere imaginäre Punkte hinter dem Publikum. Es gelingt mir und so entdecke ich auch kein bekanntes Gesicht, das mich evtl. aus dem Konzept bringen könnte.
Geschafft, der Stuhl steht da, wo er stehen soll, ich habe ihn nicht fallenlassen und auch wieder den Weg zurück hinter die Bühne gefunden, kein Ohnmachtsanfall. Und niemand hat über mich gelacht. Die erste Hürde ist genommen und auch die beiden nächsten Kurzbesuche im Scheinwerferlicht – was soll ich sagen – klappen verhältnismäßig reibungslos.
Jetzt steht Umziehen, neonfarben unterlegt auf meinem tatsächlichen und verinnerlichten Konzept, auf dem Programm. Ich schlüpfe lautlos in die 1 m² große Ecke, dann bei einer gefühlten Raumtemperatur von 40 Grad deutlich schwerer in meine schwarze Hose, aber dafür wieder mühelos in meine nächste Rolle.
Währenddessen lausche ich dem Geschehen auf der Bühne und warte auf mein Stichwort, das dann aber nicht kommt. Stattdessen nervöses Hüsteln, das bei mir für einen weiteren Schweißausbruch sorgt. Mein ohnehin grenzwertiger Puls springt ungesund nach oben.
Ok, durchatmen und es wie ein Profi nehmen. Ich gehe raus und spiele „einfach“ weiter.
So stellt sich dann doch ein kleines bisschen „Routine“ ein und der Rest – sogar meine Sprechrollen – klappen einigermaßen.
Als Tod in Mantel und Hut schlüpfe ich eine Stunde nach Beginn der Aufführung hinter die Trennwände und höre, wie Willi das Finale spricht. Dann geht das Licht aus. Und tatsächlich: Applaus. Das Publikum klatscht tatsächlich Beifall.
Ich bin ein wenig stolz. Und erleichtert, dass es vorbei ist und ohne große Pannen über die Bühne gegangen ist. Und verschwitzt. Und durstig.
Wir verbeugen uns einige Male, wobei unsere Amateurhaftigkeit zweifellos deutlich zum Ausdruck kommt. Wahrscheinlich ist es genau diese Unvollkommenheit, die das Publikum zu begeistern vermag.
NACH DER PREMIERE
Nach der Premiere bin ich umringt – naja zumindest von unzähligen Glückshormonen und einer Stechmücke, die meinem Bühnenschweiß nicht zu widerstehen vermochte. Ich sammle meine sieben Sachen in der Garderobe zusammen und trete durch den Hinterausgang ins Freie, um das Theater sogleich wieder durch den Haupteingang zu betreten. Hinter der Bar stelle ich meine Tasche mit der Rose ab und bekomme ein Glas Sekt in die Hand gedrückt. Läuft!
Jetzt schnell zu den anderen…., die – wieso das denn – mit Dr. Schulz im Roten Kabinett auf dem Podest stehen. Nicht im Ernst, oder?
Ich schnappe mir mein Restadrenalin und folge. Und da stehe ich dann mit meinem Glas Sekt, während die Kolleginnen und der Kollege brav ihre Blume in der Hand halten. Peinlich, aber unschlagbar authentisch.
Es kommt noch schlimmer. Dr. Schulz lobt das Stück, die Dramaturgen und auch uns und will dann noch mit jedem ein paar Worte sprechen. Ich bin entsetzt.
Als ich dann an der Reihe bin, trinke ich erst einmal einen großen Schluck Sekt; ohne hätte ich vor lauter trockenem Mund kein einziges Wort herausgebracht. Dann ist meine Schlagfertigkeit wieder da, und ich merke: Spontan bin ich einfach besser als mit gelerntem Text.
ALT STATT FEST
Jetzt aber Abmarsch nach Hause unter die Dusche und dann aufs Altstadtfest.
Hätte ich zu Beginn der Spielzeit gewusst (und ich hätte es wissen können, denn die Termine standen schwarz auf Gold im Programmheft), dass die Aufführungen während des Ansbacher Altstadtfests sein würden, hätte ich das Projekt wahrscheinlich nicht in Angriff genommen.
In der Stadt treffe ich dann nahezu das gesamte Profi-Ensemble des Theaters auf der Jazzterrazz bei den Sommers. Ich werde unheimlich verlegen, als man mir gratuliert, meine Bühnenpräsenz lobt, wusste ich doch gar nicht, dass die „Großen“ uns zugesehen haben, und mich talentiert nennt. Ich gehe davon aus, dass sie es ernst meinen und nehme ein kleines Bisschen Selbstbewusstsein mit in die beiden noch ausstehenden Vorstellung.
MEIN FAZIT
Ganz sicher hätte meine schauspielerische Leistung besser sein können. Aber ganz sicher auch schlechter.
Die drei Vorstellungen sind vorbei und ich bin in mein normales Leben zurückgekehrt.
Ich fasse zusammen: Es war ein unvergleichliches Erlebnis, eine tolle Erfahrung.
Leider bin ich nun infiziert und will nochmal… Vielleicht ja in der nächsten Spielzeit unter dem neuen Namen „Theater Generationenclub“. Und vielleicht sehen wir uns ja dort!?
Das Publikum war heute wieder wundervoll,
und traurig klingt der Schlussakkord in Moll.
Wir sagen Dankeschön und auf Wiedersehen,
schau’n sie bald wieder rein, denn etwas Schau’n muss sein!
Und heißt es Bühne frei, dann sind sie mit dabei,
die Show muss weitergehn, auf Wiedersehen …
(Mein Name ist Hase)
Schade, dass es sein muss.
Ist für heute wirklich Schluss?Heute ist nicht alle Tage. Ich komm‘ wieder, keine Frage.
(Pink Panther)
MEIN DANK
Ganz zum Schluss möchte ich mich bedanken:
- Bei meinen Kollegen, die mich so wunderbar aufgenommen haben: Johanna Elipe, Ulli Franzke, Dagmar Fetz, Christa Kanzler, Gisela Kottsieper, Christa-Maria Schilling, Maria Weihmann, Willi Heinzlmeier und Ute Piffl (die leider bei den Auftritten nicht dabei sein konnte)
- Bei Michael Schmidt, der es nicht immer leicht hatte. Danke für Deine Geduld. Wenn’s nach mir ginge, könntest Du ein wenig strenger sein. – zumindest mit den anderen
- Bei Vera Goth dafür, dass ich im Fundus stöbern durfte
- Bei Dr. Susanne Schulz, Paula Linke, Valentin Bartzsch, Dave Wilcox, Nicolas Dabelstein… für ihre anerkennenden und aufmunternden Worte. Das hat mich wahnsinnig gerührt
- Beim Publikum in erster Linie dafür, dass es da war
- Bei Sophie, die sozusagen den „Oldenstein“ ins Rollen gebracht hat
- Bei der Bühnentechnik und allen, die ich zu erwähnen vergessen habe
- Bei meinem Mann, der mich als Nervenbündel grandios ertragen hat