Anzeige

Anzeige

Rede von Oberbürgermeisterin Carda Seidel zur Gedenkfeier zum „Tag der deutschen Einheit“

3. Oktober 2018, um 11.30 Uhr, An der Riviera

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Ansbacherinnen und Ansbacher,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer jährlichen Gedenkfeier zum Tag der deutschen Einheit. Vielen Dank, dass Sie wieder so zahlreich unserer Einladung gefolgt sind und wir gemeinsam diesen besonderen Tag der deutschen Geschichte feiern können.

28 Jahre Wiedervereinigung: 28 Jahre, ebenso lange – von 1961 bis 1989 – stand auch die Mauer, die einst Deutschland in zwei Teile trennte. 28 Jahre wiedervereinigt – das ist mehr als eine Generation. Vieles hat sich in dieser Zeit getan! Eigentlich müssten wir doch in 28 Jahren vollständig zusammengewachsen sein…in den Köpfen und auch tatsächlich… doch die Realität spiegelt das noch nicht im gewünschten Maße wider…

Laut Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2017 ist der Prozess des Zusammenwachsens zwischen Ost und West weit vorangeschritten. Es bleibe aber noch ein gutes Stück Weg zu gehen, um noch bestehende, vor allem wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen strukturschwächeren und strukturstärkeren Regionen zu überwinden. Und auch in den Köpfen muss sich wohl noch etwas tun, denn es ist immer noch lebendig das Ost-West- oder West-Ost-Denken und dies auch bei Personengruppen, bei denen man es gar nicht erwartet.

So erzählte mir letzthin eine Medizinstudentin, die erst in Dresden studierte und nun in Leipzig weiterstudiert, dass ihre ostdeutschen Mitstudenten recht ausgeprägte Vorurteile und Ressentiments gegen die „Wessis“ hätten und diese auch fleißig pflegten.

Dies erstaunt umso mehr, als die jungen Leute in ihrem Leben Deutschland tatsächlich nur als ein Land – also ohne trennende Mauer – kennengelernt haben. Und so zeigt sich sowohl an den Fakten, wie auch an dieser kleinen Geschichte, dass wir noch an unserem gemeinsamen Prozess der Wiedervereinigung weiterarbeiten müssen, auch wenn wir schon ein großes Stück des Weges geschafft haben.

28 Jahre Wiedervereinigung sind natürlich ein guter Grund zum Feiern, und in Berlin feiern sie schon seit zwei Tagen mit großem Aufgebot. Im Mittelpunkt stehen dabei die Hunderttausende die mit Hilfe friedlicher Demonstrationen mutig und überzeugt die Wiedervereinigung Deutschlands erzwangen. Im Herbst 1989 demonstrierten die Menschen in Leipzig, Berlin, Dresden und anderen Städten in der DDR für Freiheit und Demokratie. „Wir sind das Volk!“ Dieser Slogan ging um die Welt und damit auch der Wunsch der Menschen nach Selbstbestimmung. Der Ruf des Volkes nach Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung war schließlich so unüberhörbar und vielstimmig, dass vorausschauende Politiker die Weichen für die Wiedervereinigung stellten. Am 9. November 1989 geschah das Langersehnte und dann doch fast Unglaubliche – die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland fiel. Und noch heute bekommen die, die diese schicksalhaften Ereignisse live oder an den Fernsehern verfolgen konnten eine Gänsehaut, wenn sie an die unbeschreiblichen Bilder und Momente des Glücks denken, die sich damals ereigneten.

Damals war unser Land getragen von der Euphorie der Wiedervereinigung und in regelrechter Aufbruchsstimmung. Und es hat sich viel getan in den letzten fast drei Jahrzehnten – nicht nur in Sachen Ost-West – sondern insgesamt betrachtet. Deutschland hat seine Stellung und Bedeutung in der Welt ausgebaut, steht heute wirtschaftlich so stark da wie nie und im Durchschnitt geht es uns zudem so gut wie noch nie. Doch all das hilft nichts – wir sind verunsichert, haben Angst, ringen um Orientierung und Stabilität. Die Ängste der Menschen sind vielfältig. Auf den ersten Plätzen rangieren laut R+V Langzeitstudie neben einer gefährlicheren Welt durch Trump, die Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge, Spannungen durch Zuzug von Ausländern, Überforderung der Politiker, Terrorismus, Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise, politischer Extremismus. All dies sind Ängste, die formuliert werden dürfen, ja müssen, und es ist Aufgabe der Regierung unseres Landes diese zu hören, ernst zu nehmen und zu handeln.

Doch unsere Regierung – die ja bereits heftige Startschwierigkeiten hatte – beschäftigt sich vor allem mit sich selbst… anhaltender Streit um fast jede Entscheidung in der Koalition, endlose Diskussionen, faule Kompromisse, Ultimaten, irritierende Personalentscheidungen, Machtverlust für die Kanzlerin, aber keine überzeugenden Antworten  oder Lösungen für die Fragen und Ängste der Bevölkerung. Gleichzeitig beobachten wir einen zunehmenden „Rechtsruck“ – rechts ausgerichtete Parteien erstarken nicht nur in Deutschland, weil sie die Ängste der Menschen bedienen und nutzen. Rechtsradikale Aktivitäten und Gewalt nehmen in beängstigendem Maße zu. Sind dies alles Auswirkungen der Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Hilflosigkeit unserer Regierung? Ganz so einfach ist es sicher nicht. Sicher ist, es braucht dringend einen „Realitäts-Ruck“ an der Spitze unseres Landes. Deutschland braucht wieder eine stabile, handlungs- und entscheidungsfähige Regierung, die sich nicht hauptsächlich um sich selber dreht, sondern die Ängste der Menschen ernst nimmt, klare, verständliche und verlässliche Lösungen sowie Ziele formuliert und die Wege dorthin aufzeigt.

Auch der Blick auf Europa macht nicht glücklich…Der Einfluss der Kanzlerin in der EU sinkt. Der Brexit – vor Monaten noch der Aufreger – steckt in der Sackgasse und vielleicht gibt es ja sogar ein zweites, diesmal bindendes Referendum. Wer weiß? Der Egoismus der einzelnen Länder nimmt weiter zu. Das Europaparlament hat mit 2/3 Mehrheit entschieden seine Werte gegenüber Ungarn einzufordern. Wie das Rechtsstaatsverfahren endet, bleibt abzuwarten. Nichtsdestotrotz eine Alternative zum Bündnis für Frieden und Stabilität in Europa gibt es nicht. Meine Damen und Herren, ja, es gibt jede Menge zu tun – in unserem Land, in Europa und in der Welt, wir stehen vielfältigen Herausforderungen gegenüber. All diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen im Kleinen, wie im Großen.

Doch auch jeder Einzelne, also jeder von uns, kann seinen Beitrag leisten. Lassen uns dies gemeinsam tun! Lassen Sie uns die Werte, die in unserem Grundgesetz verankert sind aktiv leben.

Lassen Sie uns in unserem Land, in der EU und in der Welt für Demokratie, Frieden, Stabilität, Recht und Freiheit eintreten. Lassen Sie uns im Kleinen, wie im Großen für einen friedlichen und offenen Dialog eintreten und um die besten Lösungen ringen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag der deutschen Einheit.

Dank an Onoldia Brass für die musikalische Umrahmung!