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Bundesärztekammer warnt: Ärztemangel nimmt zu

Ansbach, 16. Juni 2022 – Wie die jährliche Ärztestatistik der Bundesärztekammer (BÄK) für das Jahr zeigt, ist die Zahl der berufstätigen Ärzte und Ärztinnen im Vergleich zum Vorjahr um rund 7.000 Personen angestiegen und liegt nun bei 416.120. Der geringe Zuwachs von 1,7 Prozent reicht nach Ansicht der BÄK allerdings nicht aus, den Behandlungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft zu decken.

Zuwachs bei stationär tätigen Ärzten und Ärztinnen bleibt weiter hinter dem Vorjahresplus zurück

Der Zuwachs an Ärzten und Ärztinnen blieb im Jahr 2021 hinter dem aus 2019 (+2,5 Prozent) zurück. Die Zahl der ambulant tätigen Mediziner/innen erholte sich dabei fast und liegt nun bei rund 163.400 Personen – ein Plus von 2.400 oder 1,5 Prozent, im Vergleich zu einem Anstieg von einem Prozent im Vorjahr. Bei den stationär tätigen Ärzt/innen beträgt der Zuwachs allerdings nur knapp 3.000, auf nun 214.900 Personen, umgerechnet 1,4 Prozent. Damit liegt der Anstieg deutlich unter dem Vorjahresplus von 2,3 Prozent.

Die BÄK führt diese Entwicklung unter anderem auf die Corona-Pandemie zurück, die zu langsameren Studienfortschritten an den medizinischen Fakultäten geführt habe. So ist für 2021 auch die Zahl der Erstanmeldungen von Ärzt/innen bei den Landesärztekammern rückläufig: Die Zahl der Erstanmeldungen von deutschen Staatsbürgern ist um 0,6 Prozent gesunken, die Zahl der Erstanmeldungen von ausländischen Staatsbürgern sogar um 10,6 Prozent. Die Zahl der Facharztanerkennungen ist zwar um 1,9 Prozent angestiegen, auch dieses Wachstum bleibt allerdings hinter dem Zuwachs aus den Jahren vor der Pandemie zurück. 2019 betrug der Zuwachs so noch 3,3 Prozent. Fünf Prozent mehr Ärzt/innen als im Vorjahr haben sich für eine Tätigkeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst entschieden.

Höherer Anteil an Teilzeitarbeit steht steigender Anzahl an Behandlungsfällen gegenüber

Erschwerend kommt hinzu, dass ein wachsender Teil der Ärzteschaft in Teilzeit tätig ist. Zugleich sinkt die Bereitschaft, Überstunden zu übernehmen. Der Anteil der Ärzt/innen in Elternzeit hat im Jahr 2021 ebenfalls deutlich zugenommen (+7,7 Prozent). Insgesamt waren zum 31. Dezember 2021 rund 128.000 Mediziner/innen ohne ärztliche Tätigkeit, davon befanden sich etwa 90.000 im Ruhestand.

Dem Trend zu mehr Teilzeitarbeit und weniger Überstunden steht eine wachsende Zahl an Behandlungsfällen in den Krankenhäusern gegenüber. Wie die Deutsche Krankengesellschaft (DKG) berichtet, ist die Zahl der Behandlungen zwischen 1991 und 2019 von 14,6 auf 19,4 Millionen Fälle gestiegen. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) kommen pro Jahr rund eine Milliarde Arztkontakte in den Praxen hinzu.

Die BÄK geht davon aus, dass der Behandlungsbedarf in einer „Gesellschaft des langen Lebens“ weiter zunehmen wird. Der leichte Zuwachs an Ärzten und Ärztinnen reicht der Kammer zufolge nicht aus, um diesen Bedarf zu decken. Mit der Gesellschaft altert zugleich die Ärzteschaft. 13 Prozent der heute berufstätigen Ärzt/innen gehören zur Altersgruppe der 60- bis 65-jährigen. 8,5 Prozent sind sogar älter als 65 Jahre. Mehr als 13 Prozent stehen direkt vor dem Ruhestand. Dadurch gibt es immer weniger Hausärzte und insbesondere auf dem Land werden Ärzte händeringend gesucht.

Abhilfe durch mehr Studienplätze, bessere Rahmenbedingungen und ausländische Fachkräfte

Zwar lässt sich für das Jahr 2021 auch ein leichter Zuwachs bei den Ausbildungskapazitäten verzeichnen, laut BÄK sind aber nicht genügend Studienplätze vorhanden, um langfristig einem Ärztemangel vorzubeugen. Die Kammer fordert daher Bund und Länder auf, politische Konsequenten zu ziehen. Selbst Ärzte fordern, dass mehr Studienplätze in der Humanmedizin geschaffen werden. Weiterhin seien attraktivere Rahmenbedingungen nötig, um junge Ärzte und Ärztinnen in der kurativen Medizin zu halten.

Ein Teil des Ärztemangels in Deutschland konnte in den Vorjahren durch Mediziner und Medizinerinnen aus dem Ausland aufgefangen werden. Die Corona-Pandemie verlangsamte allerdings die Zuwanderung von Ärzten und Ärztinnen. Betrugen die Wachstumsraten in den Jahren vor der Pandemie noch sieben bis acht Prozent, ist die Zahl der zugewanderten Ärzt/innen im Jahr 2021 nur um 1,9 Prozent angestiegen. Im Gegenzug wanderten mehr deutsche Mediziner/innen ins Ausland ab: Im Jahr 2021 erreichte die Zahl der Abwanderungen mit 1.900 Personen wieder das Niveau der Vorjahre.

Langwierige und komplizierte Anerkennungsverfahren

Nicht nur die Corona-Pandemie erschwert es Ärzten und Ärztinnen aus dem Ausland, eine medizinische Tätigkeit aufzunehmen, obwohl es immer mehr offene Stellenangebote für Fachärzte gibt. Langwierige und komplizierte Anerkennungsverfahren legen vor allem Mediziner/innen aus Nicht-EU-Ländern Steine in den Weg. Innerhalb der Europäischen Union ist die Ausbildung „mindestharmonisiert“. Ärzt/innen aus der EU haben daher in der Regel keine Probleme, ihre Abschlüsse anerkennen zu lassen. Anders sieht es bei ihren Kollegen und Kolleginnen aus Drittstaaten aus. Voraussetzung für eine Berufsanerkennung ist die abgeschlossene ärztliche Ausbildung, inklusive aller vorgegeben Praxisphasen. In einigen Staaten sind diese Praxisphasen allerdings erst nach dem Examen zu absolvieren. Die Chancen auf einen Praktikumsplatz in Deutschland stehen gleich Null.

Bevor sie medizinisch tätig sein dürfen, müssen sich Ärzte und Ärztinnen aus Drittstaaten außerdem einer Kenntnisprüfung unterziehen. Die Approbationsordnung sieht vor, dass jede/r Antragsteller/in innerhalb von sechs Monaten einen Prüfungstermin erhält. In der Praxis fallen jedoch Wartezeiten von bis zu zweieinhalb Jahren an. Der Grund: Die Approbationsbehörden sind nicht auf die hohe Anzahl an ausländischen Ärzt/innen eingestellt, die jedes Jahr nach Deutschland kommt.

Anders als andere Länder wirbt Deutschland ausländische Mediziner/innen zudem nicht direkt an. Dadurch soll ein „brain drain“ in den Herkunftsländern vermieden werden. Für das deutsche Gesundheitswesen könnte sich diese Strategie jedoch als Nachteil erweisen. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) fordert daher in seinem Jahresgutachten 2022, medizinische Fachkräfte aus Ländern anzuwerben, in denen ein Überangebot besteht. Bilaterale Vereinbarungen und Ausbildungspartnerschaften sollen dafür sorgen, dass beide Seiten von der Migration profitieren.